Thandorfs Verfassungsklage erfolgreich!


Aus der Gemeinde

Landesregierung geschockt nach Sieg der Gemeinden Thandorf, Hugoldsdorf und Hohenbollentin in Greifswald

Ganz Mecklenburg-Vorpommern ist von der Willkür der Landesregierung und den Beschlüssen des Landtages überzogen. Ganz Mecklenburg-Vorpommern? Nein, ein kleines Dorf widersetzt sich zusammen mit zwei weiteren und zieht im März 2011 vor das Landesverfassungsgericht um der Willkür ein Ende zu bereiten. So oder so ähnlich begannen alle Legenden um das kleine gallische Dorf. Jetzt erfuhr die Geschichte eine Neuauflage, weil das Verfassungsgericht den kleinen Gemeinden heute Recht gab!

Zur Erinnerung

Im Finanzausgleichsgesetz war festgeschrieben, dass Gemeinden unter 500 Einwohnern ab dem 01.01.2012 nur noch 95% der Schlüsselzuweisungen bekommen sollten. Einfach so, nur weil sie weniger als 500 Menschen in ihrer Gemeinschaft haben. Doch das sollte nicht alles sein! Von Fehlbedarfszuweisungen (z.B. bei unausgeglichenem Haushalt) und Sonderbedarfszuweisungen (z.B. bei Ersatz eines defekten Feuerwehrfahrzeuges oder zu erbringendem Eigenanteil bei Investitionen) sollten sie gänzlich ausgeschlossen sein. Nur so und nur, weil weniger als 500 Menschen in dem kleinen Dorf leben. Das empfanden wir als ungerecht und willkürlich. Schlüsselzuweisungen sind so genannte "Transferleistungen" und dienen der finanziellen Ausstattung der Gemeinden zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben, also der Gestaltung des Lebens. Vergleichbar also mit Arbeitslosengeld im privaten Umfeld. Die Bedingung "nur bei mehr als 500 Einwohnern" hatte also die gleiche Qualität wie etwa ein Gesetz, nach dem nur Menschen mit einer Größe über 1,95m Anrecht auf Arbeitslosengeld hätten - es sei denn, sie würden einen Partner heiraten und dadurch in der Summe über 1,95m groß werden. So aber geht es nicht, also haben wir uns gegen diese Ungleichbehandlung gewehrt.

Hintergrund Fusionszwang

Bei näherer Betrachtung hatte die Regelung dann aber doch einen Grund: Die Landesregierung will keine Dörfer unter 500 Einwohner und hatte das Ziel, einen indirekten Zwang zur Fusion mit Nachbargemeinden über die finanzielle Austrocknung zu erreichen. Weil sie sich eine Gebietsreform nicht traut (was ihr über die dafür vorgesehenen Verfahren erlaubt wäre), schließlich ist ja bald Wahl. In der Kommunalverfassung ist vorgegeben, dass Dörfer nicht unter 500 Einwohner haben sollten. Im Finanzausgleichsgesetz wurde das in einen "quasi-Zwang" darüber umgewandelt, dass kleinere Dörfer von Zahlungen ausgeschlossen wurden.  Warum aber der Zwang zu Fusionen? Man meint auf der Landesebene, dass kleine Orte unwirtschaftlich sind und ist weiter der Auffassung, dass größere Einheiten billiger wären. Wie wahr das ist, darüber kann sich jeder in Rückblicken auf durchgeführte Fusionen ein eigenes Bild machen. Es gibt aus der Sicht der Landesregierung und des Landtages zwei Wahrheiten: Durch Heirat wird aus zwei Armen ein Reicher und die Erde ist doch eine Scheibe.

Heute um 11.10 Uhr fiel die 500-Einwohner-Klausel

Stille zog sich durch den Gerichtssaal in Greifswald, als die sechs in rote Roben gekleideten Richter und die Präsidentin vor dem stehenden Publikum einzogen. Die Präsidentin eröffnete die heutige Sitzung zur Urteilsverkündung und bat dann erneut, sich von den Plätzen zu erheben. Eine zum Zerreissen gespannte Atmosphäre zog sich durch den Saal, als die entscheidenden Sätze fielen: "Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Artikel 1 §12 Absatz 7 Satz 3 des Gesetzes zur Neugestaltung des Finanzausgleichsgesetzes (....) ist mit (....) der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern unvereinbar und nichtig." Damit und mit den Folgesätzen waren alle Formulierungen, die sich einschränkend auf Gemeinden unter 500 Einwohnern bezogen, unwirksam.

Entsetzen bei Regierungs- und Landtagsvertretern, Erleichterung und Freude bei den Klägern

Wie ein Stein fielen mir diese Worte vom Herzen, wie mir so erging es auch den Kollegen Hans Schommer (Hohenbollentin) und Peter Richter (Hugoldsdorf), den beiden Mitklägern. Die viele Arbeit hatte sich gelohnt! Der besondere Dank gilt natürlich auch dem Städte- und Gemeindetag, der unsere Klage massiv unterstützte und unserem Anwalt Prof. Dr. Dombert, darüber hinaus aber auch den über 200 kleinen Gemeinden im Land, die unserem Aufruf zur Unterstützung gefolgt waren! Eine große Solidargemeinschaft hat gezeigt: Geht doch!

Richtungsweisendes Urteil für alle Dörfer im Land

In seiner Urteilsbegründung führte das Verfassungsgericht u.a. sinngemäß aus, dass sich für einen Ausschluss von Zuweisungen von Gemeinden mit weniger als 500 Einwohnern keine sachliche Grundlage und Begründung fände, zudem sei diese Einschränkung unzureichend oder gar nicht recherchiert oder gar durch empirische Vergfleiche belegt worden. "Die Übernahme in das System des Finanzausgleichs als zwingende und einzige Differenzierungsvorgabe (ist) nicht gerechtfertigt", so wörtlich. Weiter heißt es "(...) empirische Grundlagen für die Regelung einer finanzausgleichsrechtlichen Differenzierungsschwelle bei einer Einwohnerzahl von 500 liegen nicht vor. Ein typisierender Vergleich mit Gemeinden von 1.000, 1.500 oder 2.000 Einwohnern ist nicht unternommen worden". Damit warf das Gericht der Landesregierung schwere handwerkliche Fehler bis zur Fahrlässigkeit vor, entsprechend fiel die Reaktion der Beschwerdegegner aus. Nun können alle Kleingemeinden auch nach dem 01.01.2012 mit der Zahlung von 100% der Schlüsselzuweisungen rechnen, weiter bleibt der Anspruch auf Fehlbedarfs- und Sonderzuweisungen grundsätzlich (hier wird jeweils der Einzelfall geprüft) erhalten. Ein guter Tag für die vielen Menschen in den kleinen, funktionierenden Dorfgemeinschaften in unserem Land! Es ist erlaubt, Erfolge auch mal zu feiern: Insofern mag, ganz in Anlehnung an das kleine Dorf aus dem Anfangsabsatz, hier und da nun auch ein Wildschwein am Dorfteich gegrillt werden!

Das Urteil mit Begründung in voller Länge liegt im Format PDF vor.

Die Bürgermeister der drei Kläger (v.l.n.r.): Hans Schommer, Peter Richter, Wolfgang Reetz Das Verfassungsgericht vor dem Urteilsspruch Reges Medieninteresse nach dem Sieg der Gemeinden

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